Leseprobe aus Kap. 13: Der »Schwarze September«

(Gekürzt)

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Mit dem »Schwarzen September« hat es indessen noch eine an­dere Bewandtnis, denn er wurde zum Namen einer palästi­nen­sischen Terrorgruppe, und deren bedeutendste Anschläge rich­teten sich nicht etwa – wie man doch hätte erwarten müssen – gegen den jordanischen Feudalismus, sondern gegen Israel: wir kennen den Reflex schon, wonach palästinensische Opfer kaum wahr- oder gar übelgenommen werden, wenn sie nicht Opfer der Israelis sind.

Insbesondere im libanesischen Bürgerkrieg gab es Dutzende von Massakern, doch die palästinensische Bewegung und ihre Sympathisanten lassen sie glatt unter den Tisch fallen. Was die verschiedenen palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon betrifft, von denen manche ganze Stadtteile Beiruts umfassen, so haben die libanesische Armee und Polizei dort seit einem Abkommen aus dem Jahr 1969 keinen Zutritt; dagegen tummeln sich dort diverse NGOs sowie Unterorganisationen der Uno, und viele Palästinenser sind Angestellte dieser Organi­sa­tio­nen. Die Palästinenser dieser Lager waren und sind immer wieder Opfer – und nicht selten auch Ausführende – von Massakern.

Beispielsweise zerstörten christliche Milizen 1976 das von der PLO kontrollierte Beiruter Viertel Karantina und töteten 1000 bis 1500 Palästinenser, schiitische Muslime, Kurden und Armenier. Palästi­nensische Gruppen rächten sich, indem sie kurz darauf die christ­liche Stadt Damur dem Erdboden gleichmachten; mehrere hun­dert Einwohner konnten nicht mehr flüchten, niemand von ihnen überlebte. Christliche Phalangisten zerstörten später das palästi­nensische Flüchtlingslager Tel al-Zaatar und massakrierten 2000 bis 3000 Palästinenser, nachdem von dort aus christliche Viertel beschossen worden waren. Syrische und prosyrische palästi­nen­sische Verbände stürmten 1983 verschiedene PLO-Bastionen; al­leine im Flüchtlingslager Baddawi nördlich von Tripoli fanden mindestens 1000 Menschen den Tod. Kaum jemand kennt diese Vorkommnisse. Erst Ende 2007 legte die libanesische Armee das palästinensische Flüchtlingslager Nahr al-Bared in Schutt und Asche, weil sich dort die Fatah al-Islam eingenistet hatte (die nicht mit Arafats Fatah zu verwechseln ist); kaum ein Gebäude von Nahr al-Bared überstand die monatelange Bombar­dierung, etwa 30 000 Bewohner flüchteten in benachbarte Viertel, mehrere hun­dert wurden getötet. All dies ging den Palästina-Freunden herz­lich am Arsch vorbei, und auch die Medien berichteten nur spär­lich.


Ein anderes Massaker rief indessen weltweite Empörung her­vor, und »linke« Israel­gegner fühlen sich auch heute noch ganz schlau und ­kritisch, wenn sie darauf verweisen (was sie selten versäumen): dasjenige nämlich von Sabra und Schatila aus dem Jahr 1982. Freilich gab es auch dort zahllose weitere Gemet­zel. Zwischen 1985 und 1988 beispielsweise, im sogenannten ers­ten und zweiten Lagerkrieg, belagerte die schiitische, halbsäkulare und prosyrische Amal-Miliz immer wieder Schatila und andere PLO-Hochburgen, hungerte die Verteidiger regelrecht aus und tötete mindestens 2000 Bewohner. Die in unmittelbarer Nähe be­find­lichen syrischen Truppen griffen nicht ein. Auch dies erregte nie die Aufmerksamkeit der »Freunde der palästinensischen Sa­che«, denn die Israelis hatten auch damit nichts zu tun. Anders war es nur 1982, als christlich-maronitische Milizen der ›Forces Libanaises‹ (die sog. ›Phalange‹) in die Lager von Sabra und Schatila ein­drangen und etwa 1000 Palästinenser nieder­met­zel­ten.[331] (Im glei­chen Jahr töteten die Syrer die mindestens zehn­fache Zahl von Muslimen in der syrischen Stadt Hama, die von dort aus Syrien in einen Gottesstaat verwandeln wollten; doch der Vorfall erregte kaum ein Zehntel der Aufmerksamkeit.)

Es han­delte sich zwar wieder einmal um einen Racheakt der ›Phalange‹ für zuvor von Paläs­tinensern ausgeübte Gemetzel und Attentate an Christen, vor al­lem für den tödlichen Bomben­an­schlag auf den christlich-maroni­tischen Präsidenten des Liba­non, Bachir Gemayel. Die ›Phalange‹ war damals allerdings mit der is­raeli­schen Armee verbün­det, und diese griff nicht ein, obwohl ihre Befehlsha­ber wußten oder zumindest hätten wissen müssen, daß in den Lagern nicht nur eine Ent­waffnung vorgenommen, sondern tat­sächlich ein Massaker ange­richtet wurde. Die unmittel­baren Täter der ›Forces Libanaises‹, insbe­sondere Elie Hobeika, der ausfüh­rende Kommandeur, wur­den weder angeklagt noch an­derweitig be­langt. Und die anti­israelischen Apologeten des zweierlei Maßes verloren kein Wort der Abscheu gegenüber die­sen Tätern, kaum jemand hat jemals auch nur ihre Namen gehört, und wir kennen inzwischen den Grund dafür: Es ging nie um das Schicksal der Pa­läs­tinenser, sondern stets nur darum, den Israelis ans Bein zu pissen.
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[331] Die Zahl der Opfer ist äußerst umstritten. Libanesische Quellen gehen von eini­gen hundert Todesopfern aus, eine israelische Unter­suchungskommission gibt 700-800 Tote an, aus den Reihen der PLO werden manchmal 2000 und mehr Tote ge­nannt. – Auch Quellen, die Israel normalerweise nicht gerade wohlgesonnen sind, gehen jedenfalls davon aus, daß die Zahl der Opfer in Sabra und Schatila während der späteren Massaker im »Lagerkrieg« höher war als 1982 (cf. etwa Steinbach/ Robert, p. 675 und ›taz‹ vom 7.6.1985).